Geburt ist eines der belastendsten Ereignisse im Leben einer Frau. Diese enorme Belastung für den Körper und die Psyche führt nicht selten zu Verstimmungen - sowohl auf der psychischen als auch auf der körperlichen Ebene.
Die ersten Tage und Wochen entscheiden oft darüber, ob es zu einer positiven Verarbeitung des Erlebten kommt oder ob es zu einer Zunahme der Symptome kommt.
Hebammen, Doulas oder auch Still- und Trageberater können insbesondere in der ersten Zeit nach der Geburt emotionale erste Hilfe leisten, Zuversicht spenden und psychoedukativ unterstützen.
WELCHE SYMPTOME KÖNNEN NACH DER GEBURT AUFTRETEN?
Affektive Labilität, erhöhte Empfindlichkeit, rascher Wechsel zwischen Euphorie und Weinen, Schlafstörungen, gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Appetitverlust, Antriebsmangel, Reizbarkeit, Unruhe, Überaktivitä, Angst, Scham- und Schuldgefühle, Müdigkeit, Amnesie, Interessenlosigkeit, ausgeprägte emotionale Labilität, Zwangsgedanken und Konzentrationsstörungen, bis hin zu suizidale Gedanken, Selbsverletzungen oder Suizidhandlungen.
WAS BEDEUTET EMOTIONALE ERSTE HILFE UND WARUM SIE HILFT?
Für eine positive Verarbeitung von Belastungssituationen spielen einige Faktoren wie eine sichere Bindung und Beziehung, Achtsamkeit, Mitgefühl und Verstehen eine zentrale Rolle. Der Mensch braucht immer einen anderen Menschen, um zu heilen. Alleine ist es ihm nicht möglich. Darum ist es so essentiell. Diese Qualitäten wie Ausdruck des Mitgefühls sprechen im Gehirn wichtige Bereiche des lymbischen Systems an und helfen dabei, die evtl. „erstarrten“ Bereiche des Gehirns anzusprechen und sorgen für sensible Entlastung.
Ebenso eine „Beratung“ (Psychoedukation u.ä.) nach der Geburt verringert bereits die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es ist von Bedeutung das Erleben im Wochenbett zu normalisieren und zu entpathologisieren. Einige Frauen leiden unter dem Druck, es müsse sich Glück und Freude einstellen, nach dem sie sich die gesamte Schwangerschaft gesehnt haben. Wenn dies nicht der Fall ist, bekommen sie schnell den Eindruck, selbst versagt und "nicht richtig" funktioniert zu haben. Wenn sie aber eine logische Erklärung für ihre Symptome bekommen - z.B. das das Gehirn nach einer Belastung in den meisten Fällen auf diese Art und Weise reagiert - bekommen ihre Gefühle und ihre Symptome einen Rahmen, mit dem sie sich auseinander setzen können. Ebenso kann der Geburtsverlauf näher beleuchtet und die darin kritisch gesehenen Punkte fachlich neutral geklärt werden. Hierzu bieten viele Kliniken Termine für Nachbesprechung, ebenso kann man die Wochenbetthebamme für das medizinische konsultieren.
Die Symptome können aber auch zunehmen, wenn über das Geschehene nicht gesprochen wird, wenn niemand sagt, dass es wahr ist oder es von niemanden bestätigt wird, wie es von der betroffenen Person erlebt wurde (z.B. "Ist doch wieder alles gut." oder " Du und das Kind seid doch gesund, das ist das wichtigste"). Demzufolge bleibt der Erinnerungsspeicher „festgefroren“ und die Person in ihrer belastend oder traumatisch erlebten Situation hängen. In dem Falle kann das Erlebnis nicht verarbeitet und Traumafolgestörungen bzw. Anpassungsstörungen können auftreten.
Die „Erholungsdauer“ des Gehirns nach einem belastenden oder traumatischen Ereignis beträgt 4-8 Wochen. Das Gehirn ist damit beschäftigt, alle Wahrnehmungen, die innerhalb des Ereignissen nicht "richtig" zugeordnet werden konnten, wieder richtig einzuordnen - es bildet ein hochkomplexes Gedächtnisnetzwerk aus. In äußersten Fällen kommt es zu Gedächtnislücken. Damit schützt uns unseres Nervensystem von "Zuviel" und "zu schnell" und "zu intensiv". Dabei ist es besonders wichtig, eine Orientierung im hier und jetzt zu bieten und die möglichst "sicherste Umgebung" auch emotional zu schaffen.
In diesem Zeitraum von 4-8 Wochen kann am ehesten dazu beigetragen werden, dass die Verarbeitung positiv verläuft und die Symptome nachlassen bis verschwinden. Nehmen die Symptome zu, kommt es im Laufe der Zeit zu Bewältigungsstrategien und zu komplexeren Störungsbildern.
IST WOCHENBETTDEPRESSION GLEICH POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG?
Nein, ist es nicht. Für die Wochenbettdepression müssen andere Kriterien erfüllt sein. Die Symptome unterscheiden sich in der Intensität und in deren Verlauf. Bei einer Depressionen spielen vor allem die Veränderungen im Körper (das Ungleichgewicht im Stoffwechsel und/oder im Neurotransmitterhaushalt) eine bedeutende Rolle. Eine Belastungsreaktion findet auf der psychischen Ebene statt und lässt sich durch natürliche Reaktionen im Körper, im Gehirn und im Nervensystem auf das Ereignis erklären. Es ist auch möglich, dass das während der Geburt Erlebte auf ein Ereignis aus der Vergangenheit anknüpft und diese "alte" Belastung erneut hoch bringt. Daher ist es ratsam für eine Diagnose wirklich sehr umfasend zu schauen und einiges abzufragen und abzuklären. So können z.B. Symptome wie Unruhe, Unfähigkeit sich zu Entspannen, negatives Selbstbild etc. eher als Hinweise auf eine Belastung oder Trauma sein als auf eine Depression.
WIE KÖNNTE EINE BEGLEITUNG AUSSEHEN?
Es ist besonders wichtig, alles in kleinen winzigen Schritten geschehen zu lassen. Die Kräfte der Mama im Wochenbett sich noch im Aufbau und sollten nicht überstrapaziert werden. Die Bedürfnisse der Frau im hier und jetzt sind essentiell und wichtig für die Genesung. Wenn es für die Mama von Bedeutung ist, kann man sich Ihrer Gebärgeschichte nähern und es gemeinsam entschlüsseln. Es ist jedoch wichtig, dass die Frau von dem "Erzählten" nicht überflutet wird und dass während des Erzählens Ausgleich geschaffen wird. Zum Verständnis für die Eingenen Gefühle ist es hilfreich zu vermitteln, warum und wie zu einem Zustand in der Psyche und im Körper nach einer erlebten Belastung kommt (Psychoedukation). Wenn der psychische Zustand der Mama eine professionelle Abklärung bedarf, sollten ihre Begleitung (Doula, Hebamme) auf entsprechende Stellen in Umkreis verweisen. Anderseits ist es möglich, bei einigen Fachpersonen auch Hausbesuche anzufragen. Meine Erfahrung zeigt, wenn es zu Verstimmungen durch die Geburt kommt, zahlt sich eine frühe Unterstützung und Begleitung aus. Die Frauen kommen dadurch zu Ruhe und können das Erlebte innerhalb der ersten 4-8 Wochen verarbeiten. Dabei sind in der Regel 1-3 Treffen ausreichend.
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